Interview mit Marlehn Thieme

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Als Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung beraten Sie die Bundesregierung in ihrer Nachhaltigkeitspolitik und in der Umsetzung auf Projektebene. Für eine nachhaltige Entwicklung sind Unternehmen entscheidende Akteure. Was bedeutet nachhaltiger Erfolg für Unternehmen heute konkret?

Meiner Meinung nach sind Unternehmen dann nachhaltig erfolgreich, wenn sie langfristig zuverlässig und wirtschaftlich erfolgreich arbeiten, statt nur kurzfristigem Profit um jeden Preis hinterherzujagen. Es kommt darauf an, tragfähige Beziehungen mit Geschäftspartnern, Mitarbeitern und Kunden aufzubauen. Dazu gehört auch, andere an meinem wirtschaftlichen Erfolg teilhaben zu lassen. Das erzeugt Glaubwürdigkeit. Wirtschaft funktioniert da besonders gut, wo Vertrauen herrscht. Wenn ich verlässlich bin und arbeite, steht mein Unternehmen auch härtere Zeiten durch. Tue ich das nicht, können Turbulenzen das Ende bedeuten, weil die Unterstützung fehlt.

Wie muss unternehmerische Verantwortung vor diesem Hintergrund verstanden werden?

Es ist das tagtägliche Geschäft, das die Unternehmenspraxis und die Unternehmenskultur prägen sollte. Dazu gehört auch, offen zu legen, was meine unternehmerischen Motive und Ziele sind und darzustellen, wo ich scheitere, wo Zielkonflikte sind. Es ist nicht einfach, wirtschaftliche Prosperität, Umwelt- und Sozialthemen und gute unternehmerische Governance miteinander zu verknüpfen. Wer sich die Mühe macht, erkennt jedoch, dass diese vier Bereiche miteinander verwoben sind. Eine kluge Nachhaltigkeitsstrategie erzeugt Gewinne: Erkenntnis und Motivation, aber auch harte finanzielle Einsparungen durch ökologische Maßnahmen und Wertsteigerungen durch zukunftsfähige Innovationen und Geschäftsmodelle. Und auf die kommt es langfristig an.

Welche Rolle kommt dabei gesetzlichen und freiwilligen Standards zu?

Gesetzliche Standards erhöhen den Druck auf Unternehmen, über ihre Geschäftsmodelle und die Relevanz von Nachhaltigkeit im Kerngeschäft zu berichten. Wie stellt das Unternehmen sicher, dass Menschenrechte geachtet werden? Wie geht es mit steigenden Rohstoffpreisen um? Wie deckt es seinen Energiebedarf und senkt die negativen Umweltwirkungen? Achtet es Gesetz und ethische Standards auf den Absatzmärkten auch in der Lieferkette oder versucht es, sie zu umgehen? Standards helfen, die eigene Haltung erkennbar zu machen. Je konkreter die Anforderungen, wie zum Beispiel beim Deutschen Nachhaltigkeitskodex, umso höher die Vergleichbarkeit der Informationen und der Geschäftspraxis selbst. Es ist wichtig, diese Informationen zu beschaffen und transparent zu machen. Momentan sind sie noch zu divers. Es ist schwierig an die Informationen zu kommen, das stellt eine Hürde dar.

Welchen Beitrag können Compliance-Verantwortliche zu einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung leisten?

Sie können Prozesse aufbauen helfen, die für eine verlässliche Informationsbasis im Unternehmen selbst sorgt. Die Glaubwürdigkeit von Informationen und eine gewisse Deutungshilfe, wie die Informationen einzuordnen sind grundlegend für eine fruchtbare Diskussion – in den Unternehmen selbst, aber auch mit der Öffentlichkeit. Ein wichtiger Punkt dabei ist die Analyse, welche Themen wesentlich, ob die Informationen vollständig sind und im letzten Schritt, ob die Informationen der Wahrheit entsprechen. Man kann wenig falsch machen, wenn man den Prozess hin zu einem integrierten Nachhaltigkeitsmanagement beginnt. Man kann aber sehr viel falsch machen, wenn Perfektion angestrebt wird, die einer gewissen Substanz und Wahrhaftigkeit entbehrt.

Das Verhältnis von Compliance Management, Corporate Responsibility und die Verortung der Verantwortung für Nachhaltigkeitsthemen in Unternehmen wird an verschiedenen Stellen des Kongresses im Rahmen von Best Cases, Vorträgen und Diskussionsrunden aufgegriffen werden. Welche Entwicklungen erwarten Sie hier für die Zukunft?

Nichtfinanzielle Informationen sind eine Grundlage des unternehmerischen Erfolgs von morgen. Die Dynamik kommt in den Unternehmen jetzt erst an. Die Diskussionen beginnen gerade und stellt auch die Frage nach der Struktur von Nachhaltigkeit in Unternehmen. Und das sind Managementfragen, die auch die Politik bewegen: Was hilft Unternehmen, die vielfältigen Anforderungen zu befriedigen und dabei ihren Geschäftszweck nicht aus den Augen zu verlieren? Welche Wirtschaft möchten wir in der Welt sehen? Und: was kann Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam tun, um eine nachhaltige Entwicklung zu befördern? Wir brauchen eine offene Diskussion um diese Fragen entschieden voran zu bringen. Das wünsche ich auch dem Kongress!

 

Marlehn Thieme ist Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung, Aufsichtsratsvorsitzende der Bank für Kirche und Diakonie (KD-Bank). Darüber hinaus ist sie unter anderem Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland. Auf dem Bundeskongress wird sie im Rahmen Ihrer Keynote über Compliance als Voraussetzung für nachhaltigen Unternehmenserfolg sprechen.